Mittwoch, 27. Juni 2012

Briefe an einen Historiker

Vorlesung zum Kalten Krieg. 17. Juni 1953.

Ich habe selten solche Flashs, in denen mir bewusst wird, dass ich ein DDR-Kind bin, ein von der DDR sozialisiertes Kind. Ein Kind von DDR-Eltern bzw. Großeltern, die mit dem Mauerfall ihr Leben nicht zum BRD-Sympathisanten umpolten und ihre eigene Erziehung, ihre eigenen Werte spontan vergaßen.

In der heutigen Vorlesung erinnerte ich mich an einen Mail-Schriftwechsel mit einem mir bekannten Historiker. Mit dem habe ich stundenlang philosophiert, v.a. über die Frage der Identität, die in meinen Augen unausweichlich mit Geschichte verknüpft ist (was in der Schule irgendwie wenig Beachtung findet....). Ich erinnerte mich an mein Geschichtsprojekt, das ich in den ersten Wochen in Brünn 2010 umsetzen wollte. Neben der Sprachbarriere, was unweigerlich zur Reduzierung von geschichtlicher Komplexität führte und außerdem mein schauspielerisches Darstellen auf eine wirklich harte Probe stellte, ereilte mich noch etwas völlig anderes. Und die Sau überraschte mich.

@ck
[...] Wie Dir nicht entgangen sein dürfte, jährt sich die deutsche Einheit übermorgen. Und auch hier in CZ werde ich damit regelmäßig konfrontiert; so regelmäßig, dass ich das mit meiner Projektklasse ab nächster Woche mal angehen werde. Ich hätte allerdings nicht gedacht, dass das so schwer wird. Ich habe hier einen Film (der über das Wunder von LE, hat sogar irgendeinen Filmpreis bekommen) und habe mir den angesehen, in Szenen unterteilt und versucht, diese in einfachstem Deutsch wiederzugeben für meine Schülerchens. Das ist natürlich die erste Hürde.
Viel "hürdiger" ist jedoch der Umstand, dass ich mich erneut mit einem Part meiner Vergangenheit - einer sehr passiven, zugegeben - auseinandersetzen muss. Es fällt mir, erneut, schwer, diese Bilder zu sehen: Dass Menschen zusammengeschlagen wurden ... weder Meinungs- noch Pressefreiheit vor nicht mal 20 Jahren vor meiner Haustür! Politische Inhaftierungen, Menschen auseinandergerissen und der ganz offizielle Befehl, sie zu zersetzen, sie zu zerstören. Ich sehe das und habe Schwierigkeiten zu erkennen, dass das ein Teil (Geschichte) von mir, meiner Sozialisation und meiner Familie ist. Ich kann dem nicht entfliehen und muss die Fragen zulassen. (Meine Eltern haben jegliche Versuche meiner Schwester und mir, sich mit der DDR auseinanderzusetzen, im Keime erstickt. Meine Schwester hat, sobald von meinen Eltern irgendwas in die Richtung wie "Wessi" oder "Das gab es früher nicht, das war früher besser", den Tisch / den Raum verlassen, und ja dann - hat sie es richtig gemacht? - auch den Osten verlassen und hat sich in den Westen begeben. Meine Frage, nach dem obligatorischen (?) Besuch in einem Stasiknast in Rostock, bei dem ich erfahren habe, dass die Häftlinge, wenn sie nicht gestehen oder die Version der Stasi nicht zugeben wollten, in "Betonverliese" gesperrt wurden oder in einen Kreis aus Mehl gestellt wurden und es sofort bemerkt werden konnte, wenn sie diesen verließen, "was denn das für ein Staat ist, der solche Methoden braucht, um seine ach so tolle kommunistische Idee umzusetzen", wurde beantwortet mit "Das gibt es heute auch". - Ich glaube, diese Paranoia lebt in meinen Eltern bis heute....). - Ich kann vor den tschechischen Schülern von diesem Ereignis nicht sprechen wie von einem historischen Thema, das mich nichts angeht. Mit dieser intensiven Beschäftigung merke ich, dass es mich eben doch etwas angeht. Ich kann aber darauf wenig reagieren, habe wenig Argumente, wenig Antworten. Kann in dem Zusammenhang von Verantwortung gesprochen werden?
Es ist krass: Über die DDR zu reden vor den Schülern bedeutet, von der DDR als Diktatur zu reden. Meine "Heimat" - eine Diktatur? Ein Staat  - besser: ein Gebilde von alternden Herren mit Hornbrillen (wohl der einzige Unterschied zum NS-Staat, dass in der DDR ganz offiziell mehrere ältere Herren am Ruder waren), welches sich verantwortlich zeichnet für zerrüttete Familien, tausende Tote (Selbstmord, Flüchtlinge), IMs, missbrauchte Vertrauensverhältnisse. - Verstehst Du, womit ich ein Problem habe? Ein Stück meiner Vergangenheit, Gott sei Dank nur 4 Jahre, gehören einer Diktatur an, und es ist so schwer, dieses Wort zu nutzen im Zusammenhang mit meinem Leben."

Montag, 25. Juni 2012

Strom

Hm. 


Ich war irgendwie den ganzen Tag unterwegs, so wie ich seit zwei Wochen kaum einen Abend oder eine Nacht zuhause verbringe, geschweige denn den Tag. So viel los, so viel Input. Quasi Reizüberflutung. Ich will das ja auch so. Ich will Menschen um mich haben, ich will Dinge erledigen und erleben, allein wegen des "Gut so, Biggi!"-Gefühls am Ende des Tages. 
Bis heute hat das auch wunderbar geklappt. Nachdem mir gestern klar wurde, dass der heutige Tag 12 Stunden umfasst und sich meine Kommunikation mit Freunden auf "Sorry, dass ich so kurz angebunden bin. - Ja - Nein. Ciao!" begrenzte und ich manchen Fragen gar nicht mehr folgen konnte, habe ich mir fest vorgenommen, zusammen mit dem Tasche-in-die-Ecke-feuern auch den Alltag abzulegen und mich auszuruhen. Irgendein Idiot - Ich vermute, ich war's - brüllte dann ziemlich vernehmlich: "Ey, aber Du hast doch noch Zeit, mit dem Lernen für Deine mündliche Prüfung anzufangen." Leider konnte ich diese Stimme nicht ignorieren .... 2 Stunden habe ich es also leisegelernt, dieses Pflichtbewusstsein. 
Dann setzte ich mich samt Kippe auf mein Sofa vor meinen TV und ....
das Pflichtbewusstsein ratterte weiter. Und weil ich es so verdammt gut kenne, wusste ich, dass ich es nur still kriege, indem ich etwas von meiner inneren To-Do-Liste abarbeite. 


Gesagtgetan. Und um zu vermeiden, dass es weiter ruft und Neues von mir verlangt, an diesem Montagabend, habe ich, so ganz vorbildlich, beschlossen, mich mir zu widmen und den Strom niederzuschreiben, unter dem ich gerade stehe.


Nach Hause kommen finde ich aktuell auch alles andere als reizvoll. Ich lebe auf einer Baustelle. In meinem Flur herrschen schätzungsweise 50 Grad wegen dieses Ganzkörperföns, der die Reste des Wasserschadens vom Mai beseitigen soll. In meiner Wohnung gehen dicke und unangenehme Bauarbeiter und Hausverwalter ein und aus, die der Mär erlegen sind, Studenten sind immer da und haben immer Zeit. Die können wahlweise morgens um 7, mittags um 1 oder nachmittags um 16:30 strammstehen, und das total spontan. Im Idealfall betrifft das den präzisen Zeitraum 7 - 18 Uhr. 
Morgen also kommt Herr L., der Hausverwalter, in unsere Wohnung; wir sind beide nicht da und mussten unseren Schlüssel bei einem Nachbarn deponieren. Mit dem Wasserschaden haben wir quasi unsere Intimsphäre aus der Bude gespült. Wenn ich das vorher gewusst hätte, hätte ich mir das mit dem Erwachsenwerden nochmal überlegt....


Neben Referatenmündlichenprüfungenbabysittenundbürokram ist dann da noch mein neuer alter Studentenjob in dem hiesigen Ticket- und Veranstaltungsdingsbums. Die Kollegen sind genial (Sie nehmen meine Veränderung wahr, wundern sich, wo die ernste und spießige B. von vor 2 Jahren geblieben ist. Als dann P. meinte "Du wolltest damals immer gleich nach Hause" war ich echt schockiert von dieser B., die ich angeblich mal gewesen sein soll), das Arbeitsklima auch. Über Kunden, die mich als Schlampe bezeichnen oder hübsche, junge Männer, die mich wahlweise zu Udo Jürgens oder Roland Kaiser einladen wollen, lässt sich so grundsätzlich streiten, liefern mir aber zumindest regelmäßige Lacher und Anekdoten. 


Irgendwo dazwischen stecke dann doch auch noch ich. 
Ich habe da so eine ganz wunderbare Freundin, die in mir Ambivalenteres nicht auslösen könnte: Sie schlägt mich und sie küsst mich. Sie sagt mir in aller Ehrlichkeit und unumwunden, was sie denkt. Von dem, was ich schreibe, was ich sage, wie ich bin, wie sie mich empfindet. Sie sagt mir das auf den Kopf zu. Aber was sie da sagt, stimmt. Es ist ehrlich. Was sie da sagt, zeigt mir, dass sie mich kennt, dass sie sich mit mir auseinandersetzt und dass sie mir, auf ihre Weise, helfen will. Und: Sie hilft tatsächlich. 


Aktuelle Lektion: Die mehrdimensionale Biggi. - Theorie.
" Die ausgeflippte Sonnenscheinbiggi angelt sich Kerle, die eigentlich anderen gehören. Also solang du dein ausgeflipptes Sonnenscheinimage pflegst, kannst du alles haben. Aber was ist mit den anderen Biggis, die in dir stecken? Welche Erfolgserlebnisse hast du mit denen? Welche Kerle lassen ihre Freundin stehen, für die ruhige, nachdenkliche Biggi? [...]  Und dann denk ich an die biggi, die aus tschechien wiederkam und dort auch massenhaft kerle hatte, aber damit alles andere als glücklich war. Du bist die Jägerin auf der Jagd und diesen Status kannst du nur unter aufbringung großer Kräfte halten. Nur die quirlige Sonnenbiggi ist da unterwegs. Und dann les ich: ich will nicht mehr die Sonnenbiggi sein, will auch mal die nachdenkliche Biggi sein. Und da zähl ich  dann eben eins zu eins zusammen und will dir meine beobachtungen mitteilen. Weil ich denke, dass du in all der Partylaune übersiehst, dass du dich selber aushöhlst und betrügst."


Als ich gestern mit J. diese Nachricht las, musste ich gegen die Wirkung ihrer Worte stark ankämpfen. Im Kino bei "Dein Weg" kullerten die Tränchen sicher nicht nur wegen des grandiosen und berührenden Films .... v.a. wahrscheinlich wegen der Wahrheit der Worte, die diese wunderbare Freundin da so treffend mir um die Ohren gehauen hatte.


Aktuelle Lektion: Die mehrdimensionale Biggi - Praxis.


Kaum, dass ich da was Neues gelernt hatte (oder es vielleicht auch vorher schon wusste, nur nicht so richtig in die Tat umsetzen wollte), bot sich mir die perfekte Gelegenheit, das auch gleich mal anzuwenden. F., Du mögest mir verzeihen, dass Du mein Auserwählter warst, an dem es galt, das Exempel zu statuieren. 


"weeste, das hat jetzt nichts mit liebe oder irgendnem verklärten romantik-gelaber zu tun. aber ich hab derzeit wenig lust, mich als die sexy biggi zu geben (die rolle einzunehmen), mit viel energie und unstillbarer lust nach sex, schönem körper und ohnehin endlos perfekt. ich bin gerade mehr so die gestresste biggi, die in der tat ihre mitte sucht und mit ihrem leben schon so ausgefüllt ist, dass mich die "sex-rolle" nur auslaugt. will sagen: klar sehn ich mich nach nähe und sex und so ... (manchmal), aber das mit einem mann, der alle seiten von mir sehen will. ich red da jetzt immer noch nicht von liebe, aber ich will nicht auf das eine reduziert werden. wenn du verstehst. sorry für den langen lex, ich hatte das gefühl, das mal sagen zu müssen. (ich weiß, dass es geht...so eine "mehrdimensionale" konstellation)"


Ham wer uffjeräumt für heute.
Herrje, war das wieder intim. 




Susi, Dich vermiss ich heut am allermeisten.



Donnerstag, 7. Juni 2012

Rebellin

Es heißt, wenn man stirbt oder kurz vor der Bewusstlosigkeit steht, würde man sein eigenes Leben Revue passieren lassen und einschneidende Erlebnisse würden in Bildern vor dem inneren Auge ablaufen.

So erging es mir letzte Nacht. Ich bin nicht gestorben. Im Gegenteil: Ich war noch einmal 16.
Ich war auf dem Ärzte-Konzert.
Bei Bands, die ich schon lange verfolge, will ich die alten Titel hören. Natürlich, weil ich die mitsingen kann. Textsicher bin. Aber vor allem deshalb, weil sich mit den Liedanfängen die ersten Erinnerungen einstellen, ich mich völlig fallen lassen und diesen Bildern, diesem früheren Leben hingeben und es auf einmal mit Händen und jeder einzelnen Schweißperle greifen kann.
Heute Nacht war ich mit meinem ersten Freund auf diesem Konzert, stand mit ihm in seiner Wohnung, in meinem Zimmer zuhause. Die Erinnerung an die Ärzte und an deren Liedtexte warfen mich zurück (anfangs unfreiwillig) in die Zeit meiner Pubertät, dieser Sturm- und Drangphase, in der ich nicht wusste, wer ich war, wer ich werden wollte und mich doch, vor allem gegen meine Eltern, behaupten wollte.
Ich durchlebte diese intensive Zeit des Hasses, der Wut, der neuen Erfahrung von so anderer Art Liebe.

In der Anfangszeit meiner allerersten Beziehung und dieser großen, großen Liebe zu R. wollte ich jede Minute mit ihm nutzen und vor allem mein Vater sah hierin die letzte Möglichkeit, Macht auf mich auszuüben. Während die Ärzte gestern Abend mit Licht, Gitarre, Schlagzeug, Stimme und Text, den Leuten um mich herum diese Atmosphäre erzeugten und die erste Zeile "Ich bin dagegen" begannen, war ich die 16jährige, der ihr Vater befahl, 20 Uhr wieder daheim zu sein. Ich war es nicht. Natürlich nicht. Die Nächte in dieser frischen Liebe sind die schönsten. Ich sah vor mir, während ich zu "denn Ihr seid dafür" die Augen schloss, wie ich erst am nächsten Morgen heimgekommen war, um dann von meinen Eltern rausgeschmissen zu werden.
Ich irrte durch die Landschaft, erklomm meinen Lieblingsberg, der ab diesem Moment meine Zuflucht wurde. Ich saß dort, mit diesem Lied im Ohr.

Dieses Lied wurde meine Zuflucht. Die Ärzte (so dramatisch das klingt, so pubertierend, vielleicht übertrieben) verliehen mit dem Lied meiner Wut und meiner Ausweglosigkeit eine Stimme, mir ein Ventil.
Die wichtigste Textstelle hatte ich mir groß über mein heimisches Bett gehangen.
Ich weiß es nicht, vielleicht haben meine Eltern diese Zeilen nie gelesen.

Gestern Abend wogte ich in der Menge, grölte mit und all die Erinnerungen heraus. Und als dann die für mich wichtigsten Zeilen kamen, liefen die Tränen, und auf der Bühne standen nicht die Band, sondern meine Eltern.

Hier war ich also 16, ich habe geheult und heute Nacht wahrscheinlich mehr erreicht als in irgendwelchen vorangegangenen Reflexionen. Hinter mir wusste ich T. Und nach diesen 4 Minuten Revue passieren lassen ließ ich mich in seine Arme fallen, lächelte ihn an, ohne dass er auch nur eine geringste Ahnung davon hatte, was eben passiert war, und war wieder im Hier und Jetzt.

Befreiend, wenn man irgendwann einfach sagen kann, dass es jetzt ok ist.


Sonntag, 3. Juni 2012

Kompetenztraining

Mit Verlaub. Meine Wochenenden hatten auch schon mal besser angefangen. Aber ich hab das hiesige, heute endende Wochenende davon überzeugen können, aus dem schlechten Start das beste zu machen. Und ich kann sagen: Es ist mir gelungen.

Ich habe neue Haare (diesmal ohne Helm), ein neues rotes Kleid (lalalalalala), zwei neue Muschis und quasi-neue Eltern.

Bärbel und Maggy werden Anfang Juli bei uns einziehen. Jojo und ich mussten Colles Wunsch Tribut zollen und einer der beiden einen süßen Namen verpassen (= Maggy). Schließlich konnten der Mann im Haus und ich unsere Vorliebe für moderne, altdeutsche (AHHH, ein Paradoxon. Oder so.) Namen frönen und Bärbel Bärbel taufen. Bärbel ist frech, kommunikativ und von starkem Bewegungsdrang geprägt. Ihre Krallen und mein Blazer haben sich jedenfalls gut verstanden.



Ich fürchte, ich werde in den nächsten ... Jahren ... einiges über Katzenklos, Kinderkrankheiten und quietschende Verzückung über kleine Tiere schreiben.

*

Gestern war Stadtfest.  Auf dem Stadtfest tummelt sich alles, was gut anzuschauen ist und auch das, was sonst nicht raus darf. Inspiriert von Fatjas Begegnung in der Straßenbahn erinnerte ich mich an ein eben solches Ereignis, welches zum Fremdschämen perfekt geeignet ist.
S. und ich sitzen in der Straßenbahn. Die hiesigen Straßenbahnen sind mit einem Knopf im Eingangsbereich ausgestattet. Der Knopf ist für Kinder Mütter mit Kinderwagen oder Behinderte, also auf jeden Fall für Menschen, die zum Aussteigen ein wenig mehr Zeit brauchen und mit dem Knopfdruck signalisieren, dass die Türen länger geöffnet bleiben sollen. Die Knöpfe blinken so schön. Sie sind also auch wunderbar geeignet für Kinder. 
Haltestelle. Die Tram hält gefühlte 5 Minuten. Zu lange jedenfalls. Die Tür bleibt offen und macht keine Anstalten, sich zu schließen, zu bimmeln oder irgendwie auf ein Hindernis aufmerksam zu machen. Genau gegenüber drei Gören. Für die Kinderlieben und Kinder-sind-das-Wertvollste-auf-der-Welt-Denker unter uns: Genau gegenüber fanden sich 3 wohlerzogene, niedlich anzusehende Jungs. S. und ich saßen neben ihnen und konnten das Spiel beobachten. Die Jungs hatten große Freude am Knöppedrüggn, also ich meine, sie erkundeten ihre Umwelt. Die wollen doch nur schbiiiehln! Ein Narr, der zwischen der verharrenden Straßenbahn und den Süßen einen Zusammenhang herstellt.

Zu den 3 Jungs gehört eine Mutter. Eine Schabracke. (Entschuldigung!) Zu ihr gehörte auch ein Vater. Die beiden jedenfalls saßen weit genug von den Kindern entfernt, um als Erziehungsberechtigte ausgemacht werden zu können (Man ist ja auch immer wieder erstaunt, dass sich sowas fortpflanzen....eijeijei).
Während ich in einer Mischung aus Genervt sein, Neugierde und Abscheu zu S. murmelte, dass wir uns nicht mehr von der Stelle wegbewegen würden, solange die Eltern ihre wertvollen Kinder nicht vom Spielen abha.....da knallte es von hinten und der Straßenbahnführer kündigte sich schnaubend an, bestieg wutentbrannt das Corpus-deliciti-Abteil und ... sagte nichts. Eine Mischung aus Unsicherheit im Umgang mit eigener Wut und Durchsetzung seiner Interessen ließ ihn sehr inkompetent erscheinen. Mein erster Gedanke war: "Oh Gott, der schubst die." Tatsächlich fasste er sie an ... Er schob die Jungs vom besagten Knopf weg, brubbelte in der Zeit irgendwas von "Könnt Ihr das mal lassen?" und "Zu wem gehören die hier bitte?"

Die Schabracke  Mutter guckte unschuldig hoch, markierte stolz die wohlgeratenen Jungens als die ihren. Es begann ein reger Austausch zwischen Straßenbahnführer und Erziehungsberechtigter über den Umgang mit Kindern und leider, leider, leider, war der Straßenbahnmann so überhaupt nicht souverän. Er behauptete, man müsse auf seine Durchsage achten und diese befolgen (Es gab keine) und dass es kein Wunder sei, dass die Frau ihn nicht gehört hätte, sie hätte ja was in den Ohren. Außer einem Haufen Metall hatte sie dort aber tatsächlich nichts.

Genauso wutentbrannt, wie er ankam, verließ er uns auch wieder, um eine Spur unsouveräner. Nun ging zwischen den beiden Erzeugern ein heiterer Austausch los, wie man denn nur so mit den Goldkindern umgehen könne, es folgten wüste Beleidigungen des nun nicht mehr anwesenden Straßenbahnmenschen, in den sich dann irgendwann eine junge Frau einmischte, die meinte, dass man als Eltern ja irgendwie schon Verantwortung dafür hätte, bei aller freier-Entfaltungs-Liebe, wo die Kinder so rumlaufen und was sie machen. Diese, zugegebenermaßen wirklich revolutionäre Erkenntnis, traf die beiden fürsorgenden Eltern wie ein Schlag, auf dass sie die junge Frau mit "fette Schlampe" beschimpften und ... an unserer Haltestelle ebenso die Bahn verließen.

S. und ich durften dem anregenden und beileibe konstruktiven Austausch der Eltern mit ihrer Horde noch eine Weile lauschen, bis ich feststellte, dass die ebenfalls neuen Schuhe an allen Stellen drückten und rieben. Ich humpelte. S. fand das lustig. Schließlich forderte ich lautstark Mitgefühl ein:"S. Auch Frauen mit Behinderungen haben ihre Daseinsberechtigung."
In diesem Augenblick entdeckte ich die alte Dame in Hörweite vor uns, die sich gebückt und gestützt auf ihrem Gehstock den Weg entlang quälte, .....




So viel dazu.