Ich habe selten solche Flashs, in denen mir bewusst wird, dass ich ein DDR-Kind bin, ein von der DDR sozialisiertes Kind. Ein Kind von DDR-Eltern bzw. Großeltern, die mit dem Mauerfall ihr Leben nicht zum BRD-Sympathisanten umpolten und ihre eigene Erziehung, ihre eigenen Werte spontan vergaßen.
In der heutigen Vorlesung erinnerte ich mich an einen Mail-Schriftwechsel mit einem mir bekannten Historiker. Mit dem habe ich stundenlang philosophiert, v.a. über die Frage der Identität, die in meinen Augen unausweichlich mit Geschichte verknüpft ist (was in der Schule irgendwie wenig Beachtung findet....). Ich erinnerte mich an mein Geschichtsprojekt, das ich in den ersten Wochen in Brünn 2010 umsetzen wollte. Neben der Sprachbarriere, was unweigerlich zur Reduzierung von geschichtlicher Komplexität führte und außerdem mein schauspielerisches Darstellen auf eine wirklich harte Probe stellte, ereilte mich noch etwas völlig anderes. Und die Sau überraschte mich.
@ck
[...] Wie Dir nicht entgangen sein dürfte, jährt sich die deutsche Einheit übermorgen. Und auch hier in CZ werde ich damit regelmäßig konfrontiert; so regelmäßig, dass ich das mit meiner Projektklasse ab nächster Woche mal angehen werde. Ich hätte allerdings nicht gedacht, dass das so schwer wird. Ich habe hier einen Film (der über das Wunder von LE, hat sogar irgendeinen Filmpreis bekommen) und habe mir den angesehen, in Szenen unterteilt und versucht, diese in einfachstem Deutsch wiederzugeben für meine Schülerchens. Das ist natürlich die erste Hürde.Viel "hürdiger" ist jedoch der Umstand, dass ich mich erneut mit einem Part meiner Vergangenheit - einer sehr passiven, zugegeben - auseinandersetzen muss. Es fällt mir, erneut, schwer, diese Bilder zu sehen: Dass Menschen zusammengeschlagen wurden ... weder Meinungs- noch Pressefreiheit vor nicht mal 20 Jahren vor meiner Haustür! Politische Inhaftierungen, Menschen auseinandergerissen und der ganz offizielle Befehl, sie zu zersetzen, sie zu zerstören. Ich sehe das und habe Schwierigkeiten zu erkennen, dass das ein Teil (Geschichte) von mir, meiner Sozialisation und meiner Familie ist. Ich kann dem nicht entfliehen und muss die Fragen zulassen. (Meine Eltern haben jegliche Versuche meiner Schwester und mir, sich mit der DDR auseinanderzusetzen, im Keime erstickt. Meine Schwester hat, sobald von meinen Eltern irgendwas in die Richtung wie "Wessi" oder "Das gab es früher nicht, das war früher besser", den Tisch / den Raum verlassen, und ja dann - hat sie es richtig gemacht? - auch den Osten verlassen und hat sich in den Westen begeben. Meine Frage, nach dem obligatorischen (?) Besuch in einem Stasiknast in Rostock, bei dem ich erfahren habe, dass die Häftlinge, wenn sie nicht gestehen oder die Version der Stasi nicht zugeben wollten, in "Betonverliese" gesperrt wurden oder in einen Kreis aus Mehl gestellt wurden und es sofort bemerkt werden konnte, wenn sie diesen verließen, "was denn das für ein Staat ist, der solche Methoden braucht, um seine ach so tolle kommunistische Idee umzusetzen", wurde beantwortet mit "Das gibt es heute auch". - Ich glaube, diese Paranoia lebt in meinen Eltern bis heute....). - Ich kann vor den tschechischen Schülern von diesem Ereignis nicht sprechen wie von einem historischen Thema, das mich nichts angeht. Mit dieser intensiven Beschäftigung merke ich, dass es mich eben doch etwas angeht. Ich kann aber darauf wenig reagieren, habe wenig Argumente, wenig Antworten. Kann in dem Zusammenhang von Verantwortung gesprochen werden?Es ist krass: Über die DDR zu reden vor den Schülern bedeutet, von der DDR als Diktatur zu reden. Meine "Heimat" - eine Diktatur? Ein Staat - besser: ein Gebilde von alternden Herren mit Hornbrillen (wohl der einzige Unterschied zum NS-Staat, dass in der DDR ganz offiziell mehrere ältere Herren am Ruder waren), welches sich verantwortlich zeichnet für zerrüttete Familien, tausende Tote (Selbstmord, Flüchtlinge), IMs, missbrauchte Vertrauensverhältnisse. - Verstehst Du, womit ich ein Problem habe? Ein Stück meiner Vergangenheit, Gott sei Dank nur 4 Jahre, gehören einer Diktatur an, und es ist so schwer, dieses Wort zu nutzen im Zusammenhang mit meinem Leben."
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