Montag, 28. Mai 2012

Ende - David Monteagudo


"Ich glaube, dass wir genau deswegen hier sind, [...] damit es zu Ende gehen kann. Alles geht zu Ende, unsere Ehe, wir selbst. Es ist das Ende, verstehst du? Das Ende von allem."

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Als ich "Ende" fertig gelesen hatte, saß ich eine Weile vor den letzten aufgeschlagenen Seiten, mit offenem Mund und einer Mischung aus Wut, Verwirrung und der Trauer, die wohl jeder Leser empfindet, wenn ein Buch zu Ende ist. Wenn man allein aufgrund der Tatsache, dass die letzten Worte geschrieben sind, aus der Handlung geworfen wurde, aus einer Welt, in die der Autor den Leser hineingeschrieben hat. Ich saß skeptisch da und obwohl ich wusste, dass nach den letzten Seiten nichts mehr folgen würde, blätterte ich weiter, drehte das Buch um in der Hoffnung, dass sich irgendwo noch Seiten auftun würden, die mir das eben Gelesene greifbarer, verständlicher machen würden.
Als ich erkannte, dass "Ende" nun wirklich beendet war, wurde ich wütend. Ich dachte, wie dreist es doch von diesem spanischen Autoren sei, eine derart geniale Story zu schreiben, und mich so ahnungslos zurück zu lassen. (Es fällt mir schwer, diese Leere danach zuzulassen und zu akzeptieren, dass es hier keine weiteren Antworten gibt und dass es die Geschichte wahrscheinlich ausmacht, dass ich die Antworten in mir suchen muss, David Monteagudo aber auf keinen Fall diese mir liefern wird.)


"[...] Als wir zarte zwanzig waren, haben wir einen Ausflug zur Burg Penahonda gemacht. - Wir sind nachmittags angekommen, haben in der Herberge übernachtet und sind am nächsten Tag durch die Schlucht gewandert. - In jener Nacht hatten wir die Schlafsäcke rausgelegt und im Freien geschlafen, auf einem gepflasterten Platz vor der Herberge. - Der Ort liegt weit ab vom Schuss, in der Nähe ist nur eine halb illegale Siedlung, und heute vielleicht nicht mal mehr das. Ringsum war nirgendwo Kunstlicht, also konnte man die Sterne gut sehen, sehr gut sogar. - Jedenfalls romantisch genug, dass jemand auf die Idee kam, fünfundzwanzig Jahre später nochmals hinzufahren, am gleichen Tag und um die gleiche Uhrzeit, unabhängig davon, ob wir dann noch Freunde sind oder nicht. - Damals haben wir alle feierlich geschworen, an diesem Jahrestag nicht zu kneifen. Und wir waren überzeugt davon, dass niemand diesen Schwur brechen würde. [...]"

Hugo, Ginés, Maribel, Rafa, Nieves, Amparo, Ibánez und "der Prophet" waren vor 25 Jahren sowas wie Freunde, eine Clique und irgendwann nach 25 Jahren beschließen sie, sich genau dort wieder zu treffen, wo sie als Clique ihre Nächte miteinander verbrachten. Irgendwo in einer Herberge auf einem Berg nahe der spanischen Wüste. Karg.
Irgendein Ereignis, ein diffuses, das bis zum Schluss nicht klar umrissen wird und doch ausschlaggebend zu sein scheint für das, was folgt, führte dazu, dass alle sich aus den Augen verloren. Sie heirateten, bekamen Kinder, suchten sich, ihre (sexuelle) Identität, ließen sich scheiden, verließen ihre Heimat, scheiterten und trafen sich, und das Gefühl drängelt sich dem Leser auf, aufgrund einer Mischung aus Nostalgie, morbider Neugierde und einer Art Wiedergutmachungsreflex.
Ginés reist an mit Maria, einer Frau, die er beim Escortservice gebucht hat, aus Angst, der einzige beim Treffen zu sein ohne Partnerin. Maribel und Rafa sind das einzige Paar, das sich innerhalb der Clique gefunden hat, Hugo kommt mit Ehefrau Cova, Amparo scheint eine Lesbe zu sein und bestreitet dies doch immer wieder vehement, Nieves ist geschieden und bei Ibánez ist alles ziemlich diffus. Er ist der Klugscheißer unter den Leuten, der mit vermeintlichem Wissen versucht, sich seine Empfindungen vom Leib zu halten. Und "der Prophet" ist der, um den es sich scheinbar dreht. Zumindest will Monteagudo das glauben machen. "Der Prophet" wird nur genannt, er erreicht die Herberge nie, und scheint der Schuldige zu sein, dafür, dass die Clique auseinander brach und für das, was kommt, was Monteagudo so eindrucksvoll schildert.

Alle treffen mit ziemlichem Widerwillen an der Herberge ein, es fehlt an Herzlichkeit und der Umgang miteinander erscheint mir so trostlos wie die spanische Natur, in der Monteagudo seine Protagonisten dem Ende entgegen gehen lässt. Niemand freut sich auf den anderen, teilweise ist der Umgang miteinander geprägt von diesem typischen "Mein Haus, mein Auto, meine Yacht"-Gehabe (dass man sich nur trifft, um sich mal wieder bestätigt zu fühlen), teilweise auch von einer spürbaren Angst davor, dass das jetzige Treffen die Wahrheit über dieses diffuse Ereignis ans Tageslicht rücken und damit die Illusion von Freundschaft, Zusammenleben und Liebe zerstören könnte.

"[...] Dabei wäre es ein Akt der Liebe gewesen! Endlich ein Akt der Liebe! Aber jetzt ist es zu spät. Jetzt bist auch du dran."

Alles an der Verabredung der Freunde funktioniert von Anfang an nicht. Auch die äußeren Umstände nicht. Obwohl gerade die einwandfrei ihren Weg nehmen ... Sie verhelfen den Protagonisten offenbar zu der einzigen Lösung, die für sie nur noch zu existieren scheint. Einer nach dem anderen verschwindet.
"Unerbittlich verschwindet einer nach dem anderen. Sie lösen sich lautlos in der Landschaft auf, sie verlieren sich im Nichts."

Es hat etwas von Blair Witch Project, das war mein erster Eindruck.
Monteagudo erzeugt eine Spannung, fesselt seinen Leser, und dabei passiert nichts, was den action- und dramaerprobten Leser sonst noch gruseln könnte - Keiner rennt mit entsicherter Knarre durch die spanische Sierra, nirgendwo gibt es ein Blutbad und Gemetzel. Das ist es, was fesselt: Dieses Nichts, diese Lautlosigkeit, die Hilflosigkeit. Die Übrigbleibenden, die sich dezimierenden, stellen die abstrusesten Theorien auf, und die, die sich am hartnäckigsten hält, heißt "der Prophet". Der, mit dem die Clique vor 25 Jahren irgendetwas angestellt haben muss, verfolgt die Beteiligten bis heute, er löst Angst aus und beschwert das schlechte Gewissen eines jeden Einzelnen. Er nun hat alle Fäden in der Hand und scheint aus Rache seinen vermeintlichen Freunden Böses zu wollen.


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Selten habe ich ein Buch gelesen, das mich derart fesselt. Monteagudo schreibt in der Gegenwart und minimalistisch, ohne sich in Belanglosem zu verlieren. Was er beschreibt, scheint das zu sein, was wichtig ist, und doch gibt er dem Leser keine Handreichung, keine Hilfestellung. Die einzige, unmittelbare Wirkung ist eine Art Schockstarre, aus der heraus man nur noch lesen kann, nichts anderes, der Leser verschlingt die Worte, mit der einen Hirnhälfte versucht er selbst, diesem Absurdum, diesem Mysterium auf die Spur zu kommen, mit der anderen Hirnhälfte weigert er sich, Übernatürliches als Erklärungsansatz zuzulassen. Am Ende des Lesens war ich wütend - mittendrin auch. Ich dachte mir "Ach, David, weißte was, lies Deinen Scheiß doch alleine. Das wird alles immer gruseliger, immer un-fass-barer, und Du scheinst mir keinerlei Anstrengungen zu machen, mir das alles zu erklären". Stattdessen schildert er - hinterfotzig - in welcher Reihenfolge die Freunde liegen, sitzen oder stehen, wann welche Fabrik geschlossen hat oder verwendet Fachausdrücke, die in meinen Augen völlig deplatziert sind und mich nur noch unruhiger machen. Mit diesen Aufzählungen und genauen Beschreibungen erzeugt er eine Wahnsinnsspannung, und irgendein Rest aufmerksamer Hirnmasse denkt sich, dass es doch jetzt gleich, gleich (!), kommen müsse, die Lösung; man hält die Luft an, liest schneller. ---- Dann ist das Kapitel zu Ende. Offenbar war auch das unwesentlich. Offenbar war auch das etwas, dass weder Protagonisten noch Leser zu irgendeiner (befriedigenden) Antwort geführt hätte. Desillusioniert. An Monteagudos Hand verhungert der Leser am ausgestreckten Arm.

"Ende" wird als Roman beworben; wenn man von dem Verschwinden der Leute hört, denkt man, es handele sich um einen Krimi, wenn man so mittendrin in der Ahnungslosigkeit steckt und sich ausgeliefert fühlt, könnte es genauso gut Science Fiction sein ...

Und dann sind auf einmal alle verschwunden bis auf einen Protagonisten. Und plötzlich vertauscht Monteagudo die Ebenen. Während er bis eben noch den allwissenden Erzähler vorgab, der das Geschehene aus seiner Von-oben-Perspektive schildert, nur das Beobachtete wiedergibt, schreibt er nun im "Wir". Und ich bin mir nicht sicher, ob er damit mich als Leser meint, oder "Wir" auf einmal all die verschwundenen Seelen sind, die hinter dem Protagonisten wieder auftauchen, beobachten und, aller Theorien zum Trotz, zu dem einen Ergebnis kommen: "Wenn es keine Erklärung mehr gibt, dann ist das das Ende."




 "Er geht bis ans Ende und lässt uns atemlos zurück."





http://www.sf-magazin.de/image/300erCover/4506.jpg
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*** Anm.: Alle Zitate, also entweder mit * oder "-" gekennzeichnet, entstammen der Rowohlt-Ausgabe vom Januar 2012

Sonntag, 20. Mai 2012

Taxi

Das hier wird wohl mein kürzester Blogeintrag. Aber mein intimster. Er wird den für mich einschneidendesten  am megahypereinschneidendstennenenen ((c) Fatja) Moment der letzten Wochen schildern.



Man nehme ein Taxi, in das ich mich irgendwann in den lauen Morgenstunden dieses Tages in L setzte, nach einem wunderbaren Abend mit meiner besseren Hälfte. Man nehme einen schweigsamen Taxifahrer, der genau die richtige Geschwindigkeit wählte; die Geschwindigkeit, die die an mir vorbeirauschenden Häuser ohne Konturen verschmelzen lässt, mir aber trotzdem noch Orientierung und so etwas wie Ferne liefert. Man nehme die Stille und die Dunkelheit hinzu, die es mir ermöglicht, mich fallen zu lassen, mich von Raum und Zeit, Verpflichtungen und Sorgen frei zu fühlen. Man nehme dieses physische und mentale Vakuum und ein Autoradio. Man nehme U2 und "With or without you" hinzu und dass das Lied beginnt, unmittelbar nachdem ich mich ins Taxi setze.

Ich habe in diesen 5 Minuten "...and you give yourself away" nichts gedacht. Ich habe mich treiben, mich führen und an die Hand nehmen lassen, habe mich geborgen gefühlt, habe mich mich verlieren lassen und nichts dagegen unternommen.

Als wir meine Adresse erreichten und ich die Tür öffnete, war ich zurück im normalen Morgen. Das aber seltsam zufrieden und ruhig. Diesen Moment habe ich eingefangen.

Liegewiese Morgentau

Sympathisch und gut aussehend. DJ. Er ist ja eigentlich Erzieher und aus Berlin. Nebenbei macht er Minimal. Ich will jetzt gar nicht von dem Support junger Künstler faseln.
Hört mal rein. Tut gut.

http://soundcloud.com/amak47

Samstag, 19. Mai 2012

PUV

Ich bin ein garstiger Mensch. Insider würden mich als böswillig bezeichnen.

Und da ich für meine Verhältnisse über Gebühr lang ans Bett gefesselt (aka erkältet) war, langweilte ich mich irgendwann. Wie das mit Ebay funktionierte, hatte ich inzwischen mir und meinem Konto eindrucksvoll bewiesen, also musste was anderes her. Ich habe lange hin- und herüberlegt, was ich denn als nächstes anstellen könnte. Ich hab dann mal so darüber nachgedacht, was wohl passieren würde, wenn ich 50 Minuten lang mit voller Wucht Wasser aus dem Waschmaschinenanschluss im Bad laufen lassen würde (wobei laufen lassen noch untertrieben ist). Ich stellte schließlich ziemlich schnell fest, dass das Wasser sich im Bad bis in fast 10 cm Höhe gesammelt hatte und sich seinen Weg durch den aus Handtüchern und Wäsche gebauten Deich suchte, um im Flur in sanft verlaufenden Mäandern zu enden. Ja! So poetisch, wie sich das anhört, sah es auch aus!
Ich hatte den Hahn zum Anschluss der Waschmaschine natürlich auch so festgedreht, dass ich ihn nicht wieder zudrehen konnte. Ich dachte mir - Wenn schon, dann richtig!

Und plötzlich hatte ich ganz viel Besuch! Ständig klingelte entweder mein Handy oder Leute an der Tür. Die ersten waren Shila und L., dann ein kleiner Junge, der mir in leidenschaftlicher Hingabe beim Wischen zuschaute, später dann der nette Sanitäter Sanitär-Installatööööör mit Motorradhelm (Hach! Dahinschmelz!), zum Schluss schließlich jemand mit Trockengerät (Zu dem Zeitpunkt hatte ich schon den ersten Anti-Schock-Schnaps intus). Der Höhepunkt, der ungefähr in der Mitte der Audienzreihenfolge auftauchte, war dennoch die Tochter von Frau S.
Frau S. wohnt hier im Haus und hat sogar eine eigene Wäscherei. Auch im Haus. Ich find das zynisch. Frau S.' Tochter jedenfalls klingelte erst unten, kündigte sich dann mit von Geschimpfe begleitetem Getrampel an und klopfte schließlich energisch gegen meine Tür. Im Gefolge ihre Mutter. Ob mir denn schon aufgefallen sei, dass aus meiner Wohnung Wasser komme, baute sie sich vor mir auf, wich dann aber sofort wieder zurück. Aus der sicheren Entfernung konnte sie mich viel leichter meiner Bösartigkeit überführen (Vielleicht hatte sie auch Angst vor den Wassermassen.). Ich hätte ja mal Bescheid sagen können (Gute Idee. So ganz allein mit der Wasserfontäne in meiner Wohnung. Ich hätte sie ja nach Schwimmmüffchen fragen oder sie einladen können, in meinem Bad mit mir zusammen Füße zu waschen. Hätte sie auch was von gehabt....). Und ob ich eine Hausratversicherung hätte (meinte aber eigentlich: "Ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen, dass Sie entweder keine haben oder die nicht zahlt. Als Strafe für Ihr Benehmen!") Aber das sagte sie mir schon nicht mehr ins Gesicht, sondern begleitet von wildem Getrappel in Richtung Mutters Wohnung. Die Mutter währenddessen stand so betröppelt wie ich vor mir, schaute mich mitleidig an und meinte, ich solle erstmal zur Ruhe kommen.

Frau S.' Tochter jedenfalls muss permanentuntervögelt sein (...darf man das hier so schreiben?...). Anders kann ich mir nicht erklären, wie man mich so angehen kann. Wie man so gehässig sein kann. Wie kann man jemandem, der gerade seine eigene Wohnung unter Wasser gesetzt hat (Also die Ursachen und auch die Verantwortlichkeit liegen woanders und definitiv nicht bei mir, ich war ja eigentlich schon auf dem Weg in die Uni - das muss hier mal gesagt werden! So!), vorwerfen, ich hätte das mit Absicht getan, und mir mit irgendwelchen Klagen oder mit dem Ende der Welt drohen? Zumal die Tochter von Frau S. hier ja gar nicht wohnt. Die betroffenen Nachbarn selbst (In meiner Garstigkeit habe ich nämlich das Wasser so lange laufen lassen, bis ich sicher sein konnte, dass auch 2 Etagen unter mir betroffen waren) trudelten alle so sukzessive bei mir ein und meinten nur, sie hätten das als junge Leute auch alle mal durchmachen müssen. OHA! Vielleicht war das ja so ne Art Feuertaufe (Welch ein Wortspiel!)?? Bin ich jetzt endlich erwachsen?

Bewahrt vor einem Zusammenbruch haben mich der nette Sanitär- und Trocknungsgerät-Mensch; beide ganz die kümmernden Väter, die mich beruhigten. Die ausgemalten Horrorszenarien, das Parkett müsse rausgenommen und die Decken der unterliegenden Geschosse abgehangen werden, haben sie sicher nur aufgrund einer unübertreffbaren Ehrlichkeitsliebe hinzugefügt.



Gott sei Dank gibt es Heidi. Ein ganz dicker, doller Dank an Heidi! Während "Der Diktator" seine Hände in die V***** einer gebärenden Frau bohrte, konnte ich herrlich abschalten und im Spizz mit Heidi meiner Mission "Wir sind dagegen" (gegens Heiraten ...) frönen. Wir staubten ein hocherotisches Höschen ab.

Und ein noch viel dollerer (?) Dank an L. und Shila! Ihr habt mich wirklich gerettet. Ohne Eure Hilfe wäre das Wasser wahrscheinlich an den Briefkästen rausgekommen. Ich bin Euch wirklich sehr dankbar, dass Ihr so schnell da wart und Eure Pläne übern Haufen geworfen habt. Ich hab Deine Socken, L., gewaschen und jetzt sind sie trocken .... 

Sonntag, 13. Mai 2012

Kümmergen

Ich bin krank. Also eigentlich ist es nichts Ernstes. Ist nur ne Erkältung. Aber ich bin doch der festen Überzeugung, davon sterben zu können. Ra. meinte gestern, dass eigentlich nur Männer an Erkältungen sterben ...

Ich hatte mir für dieses Wochenende ja vorgenommen, nichts zu tun. Mit Shila sogar die .... kontraproduktive Wette abgeschlossen, dass derjenige, der zuerst was für die Uni tut, einen ausgeben muss. Ich habe das nicht als Drohung aufgefasst. Und tatsächlich - muss ich heute was für die Uni machen ...... Also ich brauch das für morgen. Echt jetzt. Es geht mir gar nicht um den Alkohol.

Ich kann das mit dem Nichtstun nicht. Ich kann das erst, wenn sich alles matschig anfühlt, ich Hals- und Ohrenschmerzen habe und mir sogar das Rauchen nicht schmeckt. Und das will was heißen! (Ich hab sogar aufs Fußballgucken verzichtet!) Dann nimmt mir mein Körper die Entscheidung ab. Und selbst dann mach ich was. Fernsehen zum Beispiel. Das mach ich sonst eher weniger - aber dank des neuen Hadeteevaus, das meine neue Lieblingsmitbewohnerin N. in unseren Weiberhaushalt eingeführt hat, bin ich jetzt im Besitz von 400 Sendern, darunter auch Romance TV. 24 Stunden nonstop werden da Rosamunde Pilcher, Inga Lindström und wasweißichnichtnochalles rauf und runter gespielt und wenn ich ehrlich bin: halt ich das nur entweder besoffen oder krank aus. Nach der 5., diesmal skandinavischen Variante von Hübsche-erfolgreiche-kreative-Porzellanmalerin/Bankkauffrau/Architektin-steht-kurz-vor-Hochzeit/Auswanderung/Zwillingsgeburt-mit-attraktivem-erfolgreichem-Ingenieur/Landarzt-und-trifft-dann-auf-verwegenen-weniger erfolgreichen-dafür menschlich kompetenteren-und-spannenderen-Ex-und-kämpft-gegen-Standesdünkel-und-Intrigen-der-Schwiegermutter hatte mein vernebeltes Hirn die Notbremse gezogen. Selbst dem war das zu viel. Es geht ja immer gut aus, wissen wir ja.

Musste ich mir eine andere Beschäftigung suchen. Biggi lernt ebay.

Ich bin jetzt schon im  Besitz eines Tops, das ich gar nicht brauche, und zwei Paar Schuhe kann ich auch mein eigen nennen, einfach nur, um zu gucken, ob ich das mit Dreizweieins-meeeeins nun denn auch verstanden habe. Hab ich. Ich komm gar nicht mehr los davon. Irgendwie seh ich immer was, was schon allein dadurch überzeugt, dass es spottbillig ist und vor allem dieses Gefühl des Triumphes, 1 Minute vor Ablauf der Auktion richtig geboten, damit die anderen überboten zu haben.

Ich bin so herrlich kreativ, wenn ich krank bin!

Und ich muss irgendetwas an mir haben, das andere dazu bringt, ihr Dasein allein in meine Dienste zu stellen. Sobald sie hören, dass ich krank bin, gilt ihre Existenz allein meinem Gesundwerden. Ri. wollte aus F/S/M - keine Ahnung, woher - zu mir kommen, bombardierte mich bis morgens um halb 2 mit SMS, ob es mir denn jetzt besser ginge; Ra. meinte "tea with rum - chicken soup - sex -- in this order" würden mir helfen und wenn das nicht ginge, könnten wir auch skypen und Ras. zur Verfügung stehende Entertainment-Qualitäten würden mich rasch wieder gesunden lassen. Ganz zu schweigen davon, dass N. und J. permanent an meinem Bett auftauchten, mir essen oder Medikamente brachten. D. steckte mich mit seiner guten Laune ob Dortmunds Sieg über die Bayern (nicht hauen, das ist nur die Wiedergabe einer ... Tatsache!) und versuchte damit, meine lebensgefährliche Erkältung zu verjagen .. Ach ja, und all die anderen guten Geister, die mich gestern auch fernmündlich betreuten, sich mein Gejammer und Geschniefe anhörten und mich darin bestärkten, dass man an matschigem Hirn und laufender (roter!) Nase zwar sterben könne, sie aber schon davon gehört hätten, dass manche durchgekommen seien.

Mich würde ja mal interessieren, wie ich das mache. Ausgenommen die Tatsache, dass es sicher Leute mit so nem Mutterkomplex oder Kümmergen gibt, ... Ach, wahrscheinlich hab ich einfach nur tolle Freunde.


Darauf eine Tasse Tee! Und Portishead.




Sonntag, 6. Mai 2012

Richard müßte Haue kriegen!


"Ich bin Vati ähnlich", sagt sie [Madita], "und das find ich famos. Denn dann krieg ich bestimmt mal einen Mann."

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Lisabet bekommt es sofort mit der Angst, denn ach je, wenn sie nun keinen Mann abkriegt, denn sie sieht ja aus wie Mutti, das sagen doch alle. Eigentlich ist es ihr ziemlich egal, ob man sie heiratet oder nicht, aber wenn Madita später mal einen Mann hat, dann will sie auch einen haben. Sie will immer haargenau das haben, was Madita hat.

Madita, eigentlich Margareta, ist schon fast 7 Jahre alt, und legt allein aufgrund ihres Alters viel Wert darauf, zumindest dann, wenn sie eingeschult worden ist, Margareta genannt zu werden. Madita heißen nur Kinder; im Schwedischen heißen Mädchen, die eigentlich Margarete heißen, Madicken ... . Sie wird auch weiterhin Madita bleiben, nur wenn sie etwas angestellt hat, nennt man sie Margareta ... Madita wurde von Astrid Lindgren erschaffen und ist ein Kinderbuch Buch, genau geschaffen für mich.


Während alle um mich herum entweder heiraten, Kinder kriegen oder zusammen ziehen, und ich das so verdammt erwachsen finde, lebe ich so vor mich hin, mit einer 17jährigen in einer WG, wechsele in unregelmäßigen Abständen meine Vorstellungen vom Leben oder vom Beruf, bin häufig betrunken, höre nachbarschafts- und umweltunfreundlich laute Musik, finde Beziehungen doof, ONS kurze, inspirierende Begegnungen reizvoll und wenn im D(eutsch)A(ls)Z(weitsprache)-Seminar all die ganzen Klugscheißer um die Wette theoretischen Scheiß wiederkäuen, könnt ich kotzen! Ich will nicht den Migranten Yussuf aus der Ukraine oder den blonden Helmut aus Bolivien in C2 oder B1 einordnen (nein, das sind keine Blutgruppen - das sind Sprachniveaustufen aus dem Europäischen Referenzrahmen für ... äh ... irgendwelche Kompetenzen, die mir offenbar schon längst abhanden gekommen sind). Also wenn ich da so zwischen den ganzen .... s.o. sitze, würde ich am liebsten meine Erfahrungen aus Tschechien erzählen und mit leuchtenden Augen erklären, wie ich da auch am Anfang mit meinen ganzen strukturierten Vorgaben aus Deutschland stand vor meinen Schülern - ich konnte die zwar auch alle irgendwo einordnen, ich wusste, was sie laut deutschen Paragrafen alles wissen müssten - aber erst, als ich den ganzen Papierkram loslassen konnte, waren meine Stunden geglückt. Und ich kann sagen - die Stunden waren saugeil!
Bildquelle: **

Irgendwie stehe ich gerade auf ganz großem Kriegsfuß zum Erwachsensein. Manchmal glaube ich, ich werd es erst. Gleichzeitig sehne ich mich danach, wieder Kind zu sein. Vielleicht war ich es nie. Wenn ich dann feststelle, dass all das, was irgendwelche Konventionen und letztlich meine Eltern als Erwachsensein betrachten und von einer 26jährigen erwarten (würden), gar nicht erfülle und aber auch gar nicht will, finde ich das alles ziemlich ambivalent und die kleinen Überzeugungsarbeiten in mir kosten Kraft ...


Im Moment will ich kein anderes Leben führen (naja, ok, ein bisschen ruhiger könnte es schon werden), aber wenn dann doch irgendwie die Mehrheit aus meinem Bekannten- und Freundeskreis all diese verdammt erwachsenen Dinge tut, frage ich mich, ob ich ... einfach noch nicht erwachsen genug bin. Ich will einfach kein Kind (aus der jetzigen Perspektive) und mich mit anderen über die vollen Windeln unterhalten, wo klar ist, dass meine Nächte sich irgendwo zwischen 21 Uhr und 6 Uhr morgens abspielen, tagsüber sich aber auch alles ums Kind dreht; ich find auch heiraten gerade irgendwie doof, denn wenn ich den Partner (mal schauen, wann mein Märchenprinz angeritten kommt) wirklich liebe, brauche ich dann einen symbolischen Akt vor dem Gesetz, dass mir alle glauben, wohl am meisten ich mir selbst, dass ich mit dem Mann auch wirklich alt werden will? Davon abgesehen - WILL ich alt mit dem werden? ... Fatja meinte ja letzte Woche, dass ich ein Leben führe, um das mich wohl einige beneiden würden. Hm.

Ich glaub, Jule und ich haben darüber
 früher auch schon gesprochen ... 
"Um an so was zu denken, bist Du noch viel zu klein", sagt Madita und streichelt Lisabet den Kopf. "Wart's ab, bis Du groß bist und schon zur Schule gehst wie ich." [...]
"Vielleicht heirate ich auch gar nicht", sagt Madita, um Lisabet zu trösten. Was am Heiraten so Besonderes sein soll, kann sie sowieso nicht begreifen. Aber wenn es nun durchaus sein muß, dann heiratet sie Abbe Nilsson, das steht fest. Abbe freilich weiß noch gar nichts davon. ***










Buchcover 
** Lisabet 
*** Madita von Astrid Lindgren vom Oetinger Verlag, 1961, S. 13 bzw. S. 25 f.

Samstag, 5. Mai 2012

Nachrufen.

Das erste Mal gesehen habe ich ihn am 18. März 2011, morgens. Und als ich ihm da so gegenüberstand, er mir mit der später immer wiederkehrenden undurchdringlichen Mimik die Hand gab und "Guten Tag" sagte, von der Tageszeit unabhängig, bekam ich Angst vor ihm und wollte den Rückzug antreten.

Und ich kam dann doch immer wieder.

Unsere Beziehung währte nicht lange; sie endete am 27. April 2012. Als ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, war er vom Urlaub ganz braun gebrannt, das Gesicht wirkte etwas eingefallen, zumindest gaukelt mir meine Erinnerung das vor. Ich weiß nicht, welche Funktion das hat - Vielleicht, dass ich mir hinterher sagen kann, ich hätte es ja gesehen, ich hätte es ja ahnen können. Aber es kommt unerwartet und man kann sich davor nicht schützen ...

Seine grauen Haare umrahmten sein Gesicht mit dem charakteristisch kecken Ausdruck; es verging keine Stunde, in der er mich nicht doch zum Lachen brachte. Er ließ mich ganz oft in meine ganz eigenen, einzigartigen Abgründe schauen, um mir dann mit einem Lachen, manchmal war es auch nur ein Lächeln, mal eine Wahnsinnsmetapher, mal eine mich überraschende Empathie, den Weg heraus zu zeigen und alles irgendwie so ein wenig zu relativieren.

Seine Ringelsocken hab ich geliebt und irgendwie suchten meine Augen, egal wie intensiv unsere Zusammenarbeit war, immer währenddessen seine Fußbekleidung ab und waren irritiert, wenn dort keine, vornehmlich grüngestreiften Socken zum Vorschein kamen.

Er saß mir stets seitlich gegenüber, in unregelmäßigen Abständen zog er sein Jackett zurecht und positionierte sich anders in seinem Sessel; für mich immer das Zeichen, dass gleich entweder eine markante Äußerung, eine Zusammenfassung, ein Deutungsansatz von ihm folgen würde, oder eine Frage, in jedem Fall etwas, das den Finger in meine Wunden bohrte.

Vor allem die letzten Zusammentreffen habe ich als sehr intensiv in Erinnerung, sehr arbeitsam, sehr effektiv, voll von Erkenntnissen. Der Vorraum, ausgekleidet mit einem dicken Teppich, bis an die Decke reichende Bücherregale (dass Sie Gernhardt lesen, hat Sie mich noch viel mehr lieben lassen), das durchgesessene helle Ledersofa mit "DIE ZEIT" auf dem Tischchen und hinten in der Ecke ein großer, flauschiger Plüschteddy, waren für mich der erste Schritt aus meinem Alltag heraus, läuteten für mich 50 Minuten harte Arbeit, Tränen, Wut, Intimität, Verständnis, Verstehen, Vertrauen, Ruhe, Akzeptanz, Lachen, Irritation, Verzweiflung ein.

Er nahm die Rolle meines Vaters ein, meines Lehrers, meines Lehrmeisters, meines Philosophen, meines Freundes; mit ihm konnte ich schweigen. Er war ein unheimlich wichtiger Mensch für mich, und dabei habe ich völlig vergessen, dass auch er eine menschliche Eigenschaft besitzt: Sterblichkeit.

Diese Rolle bleibt vorerst unbesetzt.

Ich bin so wütend.