Montag, 20. Februar 2012

1-Wochen-Fliege

In regelmäßigen Abständen versuche ich, die Liebe zu finden. In regelmäßigen Abständen heißt, immer dann, wenn ich mich von anderen Tiefschlägen und mit Scheitern verbundenem Gewinn neuer Erkenntnisse wieder erholt habe. Dieser Wunsch sitzt so tief, dass ich von mir selbst manchmal den Eindruck habe, für ihn alles zurückzustellen, inklusive meines eigenen Verstandes und meiner Sorge um mich selbst.

Knuddels ist schuld. Dieser, wie der Name schon sagt, hochintelligente Chatroom, und - was nicht vernachlässigt werden sollte, die Idee, im Suff andere Leute, meist männlicher Natur, die einen i.d.R. mit "F*****??" anschreiben, dumm zu machen. Naja, und dann ist da noch die Langeweile gewesen, und, um ehrlich zu sein, der Wunsch, den Wunschpartner vielleicht im Internet zu finden (womit sich der Kreis zu obiger Bemerkung wieder schließt).

Die Vorzüge des Internets hin oder her - ich traf mich mit A bereits zwei Wochen nach einer sehr eindrucksvollen Begegnung im Chat und wesentlich eindrucksvolleren, Nächte überdauernden Telefonaten. Alle gesagten und gedachten und auch nie ausgesprochenen Worte zwischen uns machten eins sehr deutlich: Es funzt zwischen uns und es bedarf nur noch dieser einen ersten Begegnung, von der wir uns ersehnten, dass sie unsere fernmündlichen und auditiven Eindrücke voneinander nur noch bestätigten. - Es lief alles so .... normal, und war gerade deshalb derart schön und beeindruckend. Jeder weitere Kontakt machte nur noch klarer, wie viele Ähnlichkeiten da zwischen uns herrschten (Ich bin mir im Nachhinein nicht mehr sicher, ob man dieses "Arsch-auf-Eimer-Denken" nicht immer hat, um einfach seinen eigenen Gefühlen Rechtfertigung zu verleihen...).  Ich wandelte von einer Verzückung zur nächsten, ich war endlich mal wieder so richtig aufgeregt, mit allem drum und dran. Und - ich war endlich mal wieder in der Lage, nach einer gefühlten Ewigkeit, neben einem Mann einzuschlafen und aufzuwachen neben ihm, ohne dass mir allein die Vorstellung dieser Intimität Angst bereitet hätte. Ich hatte nun, endlich!, das Gefühl, angekommen zu sein. - Das war ich auch, zumindest für die besagte Woche. - 

Sofort war diese Nähe da, als wir uns zum ersten Mal sahen, sofort danach, oder vielleicht sogar gleichzeitig, stellte sich das Gefühl einer Harmonie, einer alles bestimmenden Vertrautheit ein, als wäre sie schon immer da gewesen, wenige Stunden nach dem ersten Sehen übermannte (sic!) mich der Wunsch, diesem Mann nahe zu sein, mit ihm die erste Nacht zu verbringen und alles fühlte sich rundum stimmig an. Wie gesagt - nach dem letzten Jahr, in dem ich den Zugang zu mir und zu meinen Gefühlen verloren hatte, das alles komplett neu erlernen musste - fühlte ich mich gut und sicher und richtig.

Wir verbrachten mit wenigen Unterbrechungen die Woche miteinander. Ich malte mir mit zaghaften Farben eine gemeinsame Zukunft aus (aber: Ich malte!), hielt bilderbuchartig regelmäßig Rücksprache mit Freunden, mit meiner eigenen Stimmung, reflektierte und versuchte, dem Verstand neben der rosaroten Brille und dem allumfassenden Wunsch nach einer Beziehung einen guten Platz einzuräumen. 

Das erste Wiedersehen nach dem ersten Treffen machte mich bereits stutzig, A. Du begrüßtest mich wie eine Bekannte und als ich auf dem Damenklo verschwunden war, atmete ich durch und die Gedanken "Na, das kann ja heiter werden" weg. Alle weiteren Treffen verliefen nach dem Muster, dass Du abwartetest, bis ich Dir näher kam, bis Du Sicherheit von mir erhieltest. Nun ja, wie das Leben so spielt, fand unser 2. Treffen am Valentinstag statt und ich habe zum ersten Mal seit langer Zeit (diese 1 Woche mit Dir kam einer permanenten Entjungferung gleich!) einen Kuchen gebacken, Kerzen gekauft und das alles gegen meine eigene Unsicherheit, mit diesem Kuchen ein eindeutiges Zeichen zu senden und so gar keinen Raum mehr für einen Rückzug und ein "Ist doch nur ein Kuchen - nein, ist kein Beweis von Zuneigung" zu haben. Von nun an war für unsere 1-Wochen-Beziehung die Liebe, mit der der Kuchen gebacken war, Synonym für unsere inneren Wünsche, die wir in dieser kurzen Zeit sehr aufrichtig und glaubwürdig auslebten.

Ich war mir bis zum Samstag, am Tag unserer "Trennung" so sicher, dass ich die Kraft aufbringen würde, mit Dir gemeinsam eine Beziehung aufzubauen. Ich trage selbst ausreichend Ängste mit mir rum, die reichten für zwei, sodass ich ebenso lediglich in der Lage war, vom "Versuchen" zu sprechen. Jedoch spürte ich eine Menge Zuversicht in mir, eine Menge Energie, es eben tatsächlich auch anzugehen.
Bis ich an jenem Samstag morgen keine Lust mehr auf Deine ironischen und humorvollen Bemerkungen hatte, bei denen ich relativ früh (zu früh) ihre Funktion vernommen hatte - wie Du es dann auch zugabst, kannst Du nicht über Gefühle reden, erst recht nicht über Deine, vor allem nicht über Deine Ängste. Als hättest Du nie mitbekommen, worauf unser Kontakt hinauslief (=Beziehung?) oder dass ich eben aus einer anderen Stadt bin (=Fernbeziehung?), hast Du auf einmal eigentlich alles geleugnet, was zwischen uns vorgefallen war und unter Tränen zum Ausdruck gebracht, ich sei so weit weg und dass Du es nicht erträgst, eine Fernbeziehung zu führen. Du seist von starken Verlustängsten geprägt, und dass Dich jeder Mensch in meiner Umgebung, in meinem Leben, Eifersucht spüren lässt, habe ich bemerkt, bevor Du von Verlustängsten überhaupt gesprochen hast.
Je mehr ich Dir von meiner Zuversicht geben, je mehr ich Dich verstehen wollte, umso mehr nahmst Du Abstand zu mir ein und verletztest mich. Aus dem "nicht können" wurde schnell ein "nicht wollen", aus dem "Ich habe Angst" ein "Ich bin überhaupt nicht verliebt". Und dann das i-Tüpfelchen, die Krone der Verletzung und der Königsweg aller Beziehungsphobiker: "Wir können ja einfach so weitermachen wie bisher" - "Wir können doch Freunde bleiben". Was übersetzt heißt: Wir machen all das, was man in einer Beziehung auslebt, aber wir nennen es um Himmels Willen nicht Beziehung! Wir gestalten das bitte alles möglichst unverbindlich, denn das würde bedeuten, wir würden uns nicht verlieren, zumindest nicht den Kontakt zueinander, müssten uns aber auch nicht mit unseren Ängsten auseinandersetzen.

Ich wurde bewegungsunfähig. Ich blieb einfach den ganzen Tag in Deinem Bett, ich konnte nicht aufstehen und ich weinte alle Tränen. Wir weinten beide und Du sagtest, Du hättest das das erste Mal seit Jahren wieder getan.

Nach diesem Samstag und nach den 3 Stunden, die wir uns aus dem Weg gegangen und unsere erhitzten Gemüter (Herzen?) runtergefahren waren, war mein Kreislauf immer noch im Arsch und hat sich erst im Laufe des gestrigen Tages erholt. Wir verbrachten den letzten Abend, die letzte Nacht miteinander und ich brauchte diesen zelebrierten Abschied. Ohne Erwartungen, ohne weitere Hoffnungen konnte ich Dir Nähe geben und Deine Nähe empfangen, jedoch nicht mehr bis in die letzte Faser meines Körpers genießen. Ich hatte mit dem Abschließen, mit dem Wegsperren, Zuschütten meiner Gefühle lange vor unserem physisch vorgenommenen Abschied begonnen und, ich muss sagen - mit Erfolg.

Ich bin erschrocken, teilweise, wie gut mein Selbstschutz funktioniert, wie sehr ich mich runterfahren und meine Gefühle verbuddeln kann, sodass ich mich sogar frage, ob sie denn jemals existiert haben können - Gefühle, die so schnell verschwinden ... 

Im Zug konnte ich das alles hinter mir lassen und je weiter ich mich von Deiner Stadt entfernte in meine (vermeintlich) sichereren Gefilde, umso besser ging es mir. Ich habe mich innerlich klar zu Dir positionieren können und empfinde diese Tage vom 12. bis zum 19. Februar 2012 im Nachhinein wie eine Beziehung im Zeitraffer, mit allen Höhen und Tiefen, mit einer Trennungsphase und einer scheinbar notwendigen Neudefinierung.

A. - nichtsdestotrotz vermisse ich Dich, vermisse ich die Vorstellung einer Zukunft mit Dir, eine Zukunft, die sich für mich so plausibel, so realistisch angefühlt hat. ...

Um zum Abschluss meiner theatralischen Ader ihren Raum zu geben - Rilke

Lange musst du leiden, kennend nicht was,
bis plötzlich aus gehässig erbissener Frucht
deines Leidens Geschmack eintritt in dir.
Und da liebst du schon fast das Gekostete. 
Keiner redet dirs wieder aus.

Ob Du wohl inzwischen den Rest Liebe aus dem Kuchen gegessen hast .... 

5 Kommentare:

  1. Sehr schön geschrieben und vor allem wahnsinnig authentisch, kann das so gut mitfühlen ... letztendlich kannst du aber dennoch irgendwie als "Gewinnerin" aus der ganzen Sachen hervorgehen, denn du bist die, die sich kennt, sich ihrer Empfindungen, Ängste und Wünsche bewusst ist, und den Mut hat, sie auszusprechen. Und jemand, der deiner würdig ist, weiß das auch zu schätzen!

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  2. Danke für Deine Worte! Das Bewusstsein darüber, mich als Gewinnerin zu sehen (=heute) wechselt ab mit so einem Elendsgefühl und ausladendem Bad in Mitleid (=gestern). Ich hoffe, dass die Phase des Liebeskummers (widerlich! Ich kann mich da selbst nicht leiden!) von kurzer Dauer ist. Ich warte jetzt einfach ganz geduldig auf den mir würdigen :)

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  3. Wahnsinn, das Leben schreibt Bücher. Schreibst du sonst auch? So, jetzt habe ich auch etwas gesagt :-).

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  4. Hej Thomas! Ich BIN das Leben ;) Eigentlich schreib ich sonst auch Gedichte, Kurzgeschichten, derzeit beschränkt sich das Ganze aber auf den Blog. Und - Schön, dass Du was gesagt hast! Ich habe Dich schon vorher freudig als meinen neuen Leser wahrgenommen, der sich offiziell dazu bekennt, im Leben anderer Leute zu lesen ^^ Ich find's cool: Welcome!

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  5. Danke für den freundlichen Kommentar! Klar lese ich gerne :-)

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